Wo wohnungslose Menschen eine digitale Heimat finden

Der Kölner Vringstreff bringt sozial benachteiligte Menschen ins Internet

Viele Alltagsgeschäfte lassen sich nur noch online erledigen. – Ein Riesenproblem für wohnungslose und sozial benachteiligte Menschen. Seit fünf Jahren ebnet der Vringstreff in Köln ihnen den Weg in die digitale Welt. 

Drei Personen schauen auf ein Smartphone, das Teil des digitalen Angebots des Vringstreffs ist

Am Himmel ballen sich dunkle Wolken. „Wird es heute noch kräftig regnen?“, fragt sich Heike*. Die obdachlose Frau sitzt im Vringstreff und studiert gerade, wie der Regenradar einer Wetter-App funktioniert. „Das ist für mich wirklich nützlich. Dann kann ich meine Sachen rechtzeitig unterbringen, damit sie nicht nass werden.“ Heike ist eine der bislang insgesamt fast 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, denen der Vringstreff im Rahmen einer Förderung durch die SozialstiftungNRW den Eintritt in die digitale Welt ermöglicht hat. Die Anlaufstelle für sozial benachteiligte und wohnungslose Menschen in der Kölner Südstadt hat vor fünf Jahren ein Format für Menschen entwickelt, die keine oder wenig Erfahrung in der digitalen Welt haben: Die digitale Lernwerkstatt – kostenlos und bei Bedarf mit einem digitalen Leihgerät. 

Eintritt in eine „neue Welt“

Dort gibt es aktuell zum Beispiel kostenlose Einsteigerstunden zum Thema „Ich war noch nie im Internet“. Die digitale Lernwerkstatt beschäftigt sich mit Themen, die den Menschen im Alltag helfen: Wie lassen sich im Internet günstige Lebensmittel, Kleidung oder Möbel finden? Wie stellt man online Anträge und vereinbart Termine bei Ämtern? Oder wie funktioniert das Bezahlen mit Apps, etwa mit Paypal? Wer besondere Fragestellungen hat, kann auch einen halbstündigen Einzelberatungstermin vereinbaren.

Elfi zum Beispiel hatte keinerlei Erfahrung mit dem Internet, bevor sie die digitale Lernwerkstatt besuchte. „Eine ganz neue Welt“, freut sich die 71jährige. Vorher wurde die Kommunikation mit Behörden und Ämtern für sie zunehmend zum Problem, da viele Anträge online gestellt werden müssen. „Jetzt kann ich jederzeit Nachrichten verschicken und Fotos von Nachweisen machen“, sagt Elfi. „Außerdem lernte ich, dass man im Internet viele Sachen kostenlos finden kann, die ich mir sonst gar nicht leisten könnte.“ 

Vringstreff e. V.
2020
70.800€

Zugang zum Internet ist auch für wohnungslose Menschen notwendig

 „Es ist ein Trugschluss, dass arme und wohnungslose Menschen kein Interesse am Internet hätten oder der Zugang für diese Personengruppe überflüssig sei“, sagt Sabine Rupp, Geschäftsführerin des Vringstreff. Viele nutzen bereits gebrauchte Handys, wie eine 2020 veröffentlichte Umfrage unter Betroffenen aus Nordrhein-Westfalen ergab. Rund 70 Prozent der wohnungslosen Handynutzer gaben an, das Gerät zu ihrer Sicherheit zu verwenden oder um im Notfall Hilfe zu rufen. Auch für die Organisation ihres Alltags hat das Handy für viele wohnungslose Menschen große Bedeutung. Auf wohnungslose Handynutzer reagiere die Mehrheitsgesellschaft häufig irritiert, da Smartphones als Luxusgut gälten, sagt Rupp. „Mobiltelefone gehören heute jedoch zum Alltag aller, weil sich die Gesellschaft immer weiter digitalisiert.“ Gesellschaftliche Teilhabe sei ohne Zugang zum Internet kaum noch möglich.

Für Menschen ohne festen Wohnsitz ist das aber ein Problem. Selbst die Anschaffung eines gebrauchten digitalen Endgeräts ist für viele nicht möglich. Der Vringstreff verleiht deshalb 20 Smartphones und zehn Tablets an Menschen, die sich kein eigenes Gerät leisten können. Der größte Engpass aber sei die SIM-Karte, weiß Rupp. Denn die muss mit einer Melde-Adresse registriert werden. Und auch das Aufladen der gebrauchten Geräte, die oft einen schwachen Akku haben, ist im öffentlichen Raum kaum möglich. Im Vringstreff können die Menschen nicht nur ihre Geräte aufladen. Sie haben hier Zugang zum WLAN, so dass sie auch mit Geräten ohne SIM-Karte online gehen können. Zusätzlich stehen zwei Notebooks vor Ort zur Verfügung. Möglich wurde das durch die Förderung der SozialstiftungNRW, die die Sach- und Personalkosten des Projekts mit insgesamt rund 70.800 Euro unterstützte.

„Mit der digitalen Lernwerkstatt und der Ausstattung mit digitalen Endgeräten zum Ausleihen hat die Sozialstiftung NRW nachhaltig die Grundlage geschaffen, dass der Vringstreff wohnungslosen, obdachlosen und armen Menschen den Zugang zu Wissen, Kommunikation und neuen Perspektiven eröffnen kann.“

Sabine Rupp, Geschäftsführerin, Vringstreff e. V.

Für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer bedeutet die digitale Lernwerkstatt im Vringstreff viel mehr als den Zugang zu nützlichen Informationen. Häufig können sie durch den Eintritt in die digitale Welt auch wieder an Kultur und Bildung teilhaben. Elfi zum Beispiel fand mit Hilfe der digitalen Lernwerkstatt eine kostenlose Sprachen-App, mit der sie nun Englisch lernt. „Dass ich ins Internet gehen kann, hat mein Leben enorm bereichert,“ freut sie sich. „Ein anderer Teilnehmer interessierte sich für das Radioprogramm und findet nun mit Hilfe der Deutschlandfunk-App viele Sendungen, die ihn interessieren“, erinnert sich Rupp. Das Vorurteil, arme und wohnungslose Menschen interessierten sich nicht für Kultur, wird im Vringstreff häufig widerlegt. Sabine Rupp erinnert sich zum Beispiel an einen Teilnehmer, der nach einer Quelle für günstige, gebrauchte Bücher im Internet suchte. So konnte sich der Mann ein lang ersehntes philosophisches Werk für 1,80 Euro leisten. 

Menschen mit und ohne festen Wohnsitz begegnen sich auf Augenhöhe

Nachdem die digitale Lernwerkstatt im Vringstreff inzwischen fest etabliert ist, erweitert der Verein das Angebot nun um ein Digitales-Ehrenamt-Programm. „Dabei geht es nicht nur darum, dass wohnungslosen Menschen auf ihrem digitalen Weg geholfen wird, sondern dass auch sie als Erfahrungsexperten anderen helfen“, erklärt Rupp. „Es entstehen Begegnungen auf Augenhöhe.“ Wohnungslose und Menschen aus gesicherten Lebensverhältnissen werden gemeinsam geschult, um ihr digitales Wissen weitergeben zu können. „Wir sind dankbar, dass die Stiftung auch dieses Programm fördert“, betont Rupp. Die SozialstiftungNRW unterstützt das Projekt „Ehrenamt im Vringstreff für digitale Teilhabe auf Augenhöhe – für und mit von Wohnungslosigkeit betroffene(n) Menschen“ mit rund 54.660 Euro.

*Name geändert