Düsseldorf/Essen/Köln. Wenn Eltern um ein Sternenkind trauern, fühlen sie sich oftmals nicht ernst genommen. Schwangerschaftsverlust ist in Deutschland noch immer ein Tabu-Thema“, stellt eine Betroffene fest. Sie habe es als sehr belastend empfunden, dass ihr die Trauerarbeit verweigert worden sei, sagt eine andere Frau. „Ich wurde stigmatisiert, da ich nach dem Schwangerschaftsverlust ja beruflich nicht mehr so belastbar sei.“ Dies sind nur einige der Erfahrungsberichte, mit denen sich betroffene Eltern beim Team des Projekts „Sternenkinder NRW“ meldeten. Sobald die Hompage des Projekts im August online ging, gingen die ersten Zuschriften von Eltern ein, die über ihre oft belastenden Erlebnisse nach einer Tot- oder Fehlgeburt berichteten. „Es hat uns überrascht, wie viele Betroffene sich gleich zu Beginn an uns wandten“, erklärte Projektleiterin Dr. Daniela Reitz, Chefärztin der Geburtshilfe und Perinatalmedizin am Elisabeth-Krankenhaus Essen, auf der MEDICA. „Das zeigt uns, dass für die betroffenen Familien ein ganz großer Verbesserungsbedarf besteht.“
Viele Eltern von Sternenkindern fühlen sich alleingelassen
Das Modellprojekt „Sternenkinder NRW“ entwickelt erstmals in Nordrhein-Westfalen einen Leitfaden, um die Begleitung betroffener Familien zu verbessern. Es wird am Elisabeth-Krankenhaus in Essen umgesetzt und wissenschaftlich begleitet vom Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie (IGKE) sowie dem Institut für Hebammenwissenschaft (IH) der Universität Köln. Die SozialstiftungNRW fördert das Vorhaben mit 692.900 Euro. „Nach einem Schangerschaftsverlust fühlen sich viele Eltern alleingelassen. Wir wollen dazu beitragen, verlässliche Strukturen zu schaffen, damit betroffene Eltern die notwendige Unterstützung bekommen“, erklärte Norbert Killewald, Vorstand der SozialstiftungNRW, anlässlich der Präsentation des Projekts auf der MEDICA.
Im Rahmen des Projekts werden Betroffene, Kliniken sowie beteiligte Berufsgruppen befragt, etwa Hebammen und Pflegepersonal. Ziel ist eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Strukturen und Unterstützungsangebote für Eltern von Sternenkindern. Die Auswertung von Fragebögen von bislang 36 Kliniken ergab unter anderem: Fehl- oder Totgeburten sind keine Seltenheit. Fast zehn Prozent der Schwangeren, die in die Kliniken kamen, verloren ihr Baby während der Schwangerschaft. Diese Eltern sind dann mit zahlreichen Fragen konfrontiert: Wo und wie kann ein im Mutterleib verstorbenes Baby entbunden werden? Wie können der Abschied und eine Beisetzung des Kindes gestaltet werden? Und wo gibt es psychologische Hilfe oder Trauergruppen für Eltern von Sternenkindern? „Untersuchungen zeigen, dass ein Schwangerschaftsverlust zu psychischen Problemen wie Drepressionen führen kann“, sagte Reitz. „Und man weiß, je besser die Unterstützungsangebote sind und je eher die Familien unterstützt werden, desto geringer ist das Risiko für bleibende psychische Folgen.“
„Es gibt zwar bereits punktuell Unterstützungsangebote“, erklärte die Projektleiterin. „Doch weil es an klaren Standards und Netzwerken fehlt, entstehen oft Lücken in der Versorgung. Wir wollen deshalb allen beteiligten Berufsgruppen eine Orientierungshilfe bieten, die eine nahtlose Begleitung von Familien mit Sternenkindern ermöglicht.“
Nach dem Verlust: Rückkehr an den Arbeitsplatz oft schwierig
Die ersten Rückmeldungen Betroffener zeigen, dass Ärzten, Hebammen oder Pflegepersonal oftmals die Zeit fehlt, sich um die Betroffenen zu kümmern. Zudem gibt es wenig Weiterbildung zu dem Thema für die beteiligten Berufsgruppen. Nicht einmal die Hälfte der Kliniken verfügt über einen speziellen Raum, in dem sich die Eltern von ihrem Sternenkind verabschieden können. Betroffene Frauen schilderten auch, dass sie nach einem Schwangerschaftsverlust auf der Wöchnerinnenstation untergebracht waren – also täglich mit glücklichen Müttern und ihren Neugeboreren konfrontiert waren. Das empfanden viele als sehr belastend. Überraschend häufig hätten Frauen auch berichtet, dass es für sie schwierig gewesen sei, nach einem Schwangerschaftsverlust wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, sagte Dr. Marcus Redaèlli vom Projektpartner IGKE. „Viele von ihnen wechseln deshalb die Stelle.“
Derzeit läuft die Befragung der insgesamt 146 Geburtskliniken in Nordrhein-Westfalen weiter. Im Januar ist ein sogenanntes „World Café“ geplant. Dabei diskutieren nicht nur Vertreterinnen und Vertreter der betroffenen Berufsgruppen, sondern auch betroffene Eltern aus Selbshilfegruppen über Fragen und Lösungsansätze. Im Laufe der 28monatigen Dauer des Projekts soll ein modellhafter Leitfaden entwickelt werden, der auch für andere Kliniken und Kommunen nutzbar ist.
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Homepage von Sternenkinder NRW.
Foto-Beschreibung/Untertitel, Foto 1 :
Die Projektpartner präsentierten „Sternenkinder NRW“ auf der MEDICA in Düsseldorf (von rechts): Projektleiterin Dr. Daniela Reitz (Chefärztin Elisabeth-Krankenhaus Essen), Dr. Marcus Redaèlli (Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie IGKE, Universität Köln), Angela Rocholl (Institut für Hebammenwissenschaft (IH) der Universität Köln), IGKE-Mitarbeiterinnen Anna Klees und Anna Spier.
Foto-Beschreibung/Untertitel, Foto 2:
Susanne Schneider, MdL, (3. von rechts) informierte sich auf der MEDICA beim Vorstand der SozialstiftungNRW, Norbert Killewald (1. von rechts), Projektleiterin Dr. Daniela Reitz (2. von rechts), sowie weiteren Projektbeteiligten über das Vorhaben „Sternenkinder NRW“.