Soziale Beratung per Smartphone oder Computer
Vorreiter-Projekt in Bonn und Köln erforschte erstmals umfassende Konzepte
In der sozialen Beratung werden die Vorteile digitaler Kommunikation bislang noch wenig genutzt. Ein von der SozialstiftungNRW gefördertes Modellprojekt erprobte erstmals systematisch Konzepte für digitale Kommunikation und Teilhabe in der sozialen Beratung. In Köln präsentierten am Mittwoch die Bonner Caritas und der Kölner SKM die erfolgreiche Abschluss-Bilanz des Projekts „Telefonzelle 4.0“.
Köln/Bonn.
Die alleinerziehende Mutter hatte sich extra einen Vormittag frei genommen, um Hilfe bei der Schuldnerberatung des SKM Köln (Sozialdienst katholischer Männer e.V.) zu suchen. Doch für weitere Beratungsgespräche reichte die Zeit zwischen Job und Kinderbetreuung nicht. Trotzdem konnte der jungen Frau geholfen werden. Denn die Schuldnerberatung des SKM in Köln-Ossendorf konnte ihr anbieten, alle weiteren Schritte über eine Online-Beratungsplattform von zu Hause zu erledigen. Auch ein Mann, der wegen seiner psychischen Erkrankung nicht in die Sozialberatung der Caritas Bonn kommen konnte, erhielt dank digitaler Technik Unterstützung. Denn die Caritas beriet ihn per Videocall. Möglich wurde die Hilfe für diese Menschen durch das Projekt „Telefonzelle 4.0“. Es bietet Ratsuchenden in der Sozialberatung digitalen Zugang und Teilhabe. Die SozialstiftungNRW förderte das dreijährige Modellvorhaben mit insgesamt 700.000 Euro.
Konzepte gegen „digitale Ungleichheit“ dringend gefragt
Noch ist digitale Kommunikation in der sozialen Beratung eine Ausnahme. Doch Lösungen sind dringend gefragt. Denn immer mehr Anträge, etwa bei Behörden, Krankenkassen oder der Schufa könnten nur noch online gestellt werden, beobachtet Jörn Unterburger, der das Projekt als Sachgebietsleiter beim SKM Köln leitete und auch für die Schuldnerberatung zuständig ist. Für Menschen aus benachteiligten Zielgruppen stelle die Verlagerung von Anträgen und Formularen ins Digitale eine zusätzliche Hürde dar, erklärte Nadia Kutscher, Professorin für Erziehungshilfe und Soziale Arbeit an der Universität zu Köln, die das Projekt wissenschaftlich begleitete. „Wir sprechen hier von digitaler Ungleichheit.“ Daher sei es notwendig, Anlaufstellen vor Ort zu schaffen, die eine niedrigschwellige Begleitung für Hilfesuchende bei digitalen Anforderungen bereitstellten.
Die Caritas in Bonn erprobte digitale Lösungskonzepte in der Sozialberatung. Im Rahmen des Projekts wurde zudem ein Raum mit technischen Geräten wie Laptop, Tablet, Drucker und Scanner eingerichtet. Geschulte Ehrenamtler und eine Fachkraft unterstützen dort bei technischen Fragen und bei der digitalen Korrespondenz. Der SKM eröffnete in zwei Einrichtungen der Quartiersarbeit in Köln-Ossendorf Digitale Außenstellen, die hybride Modelle der Schuldnerberatung anbieten. Neben der Beratung vor Ort können Ratsuchende über eine geschützte Online-Beratungsplattform kommunizieren. Klienten, die mit der digitalen Technik nicht zurechtkommen, werden von ehrenamtlichen Mitarbeitenden unterstützt. Außerdem bietet der SKM in seinem Begegnungscafé in Köln-Nippes eine „Digitalcouch“ an. Dort helfen Ehrenamtler Ratsuchenden beim Umgang mit digitalen Endgeräten.
Projekt weckt Interesse in Fachkreisen
Nach den positiven Erfahrungen der Projektphase wollen die beiden Träger die Entwicklung im Bereich Digitalisierung weiter vorantreiben. „Digitale Transformation ist kein Prozess, der irgendwann abgeschlossen ist“, betont Laura Krebs, Fachgebietsleitung Armut und Existenzsicherung sowie Projektleitung bei der Bonner Caritas. Die entwickelten Formate in den Angeboten von Caritas Bonn und SKM Köln werden nach Projektende verstetigt sein. In Fachkreisen hat das Modellprojekt Interesse geweckt. „Wir werden von vielen als Vorreiter gesehen“, beobachtet Jörg Moschner, Projektkoordinator beim SKM. Im Herbst konnten die beiden Träger das Projekt beim Internationalen Kongress „Soziale Arbeit und Digitalität“ in der Schweiz vorstellen.
„Die fortschreitende Digitalisierung stellt die Soziale Arbeit vor große Herausforderungen, bietet aber zugleich
neue Chancen“, sagt der Ratsvorsitzende der SozialstiftungNRW, Marco Schmitz, MdL. „Die Förderung digitaler
Teilhabe ist deshalb ein wichtiges Anliegen und einer der Arbeitsschwerpunkte der SozialstiftungNRW.“ Die
SozialstiftungNRW stellte allein im vergangenen Jahr im Rahmen des Sonderprogramms „Digitale Teilhabe
stärken“ 11,8 Millionen Euro für zukunftsweisende Modellprojekte bereit.
Die SozialstiftungNRW:
Die SozialstiftungNRW – mit gesetzlichem Namen Stiftung Wohlfahrtspflege NRW – ist eine Stiftung öffentlichen
Rechts des Landes Nordrhein-Westfalen. 1974 als Sozialstiftung gegründet, erhält sie jährlich 24,5 Millionen Euro
aus den Erlösen der Spielbanken in Nordrhein-Westfalen sowie rund 1,1 Millionen Euro aus den Lotterie- und
Wetteinnahmen. Damit finanziert sie soziale Projekte der gemeinnützigen Träger der freien Wohlfahrtspflege und
ermöglicht die Umsetzung innovativer Ideen. Bis heute hat sie rund 8.700 Vorhaben mit einer Fördersumme von
einer Milliarde Euro unterstützt. Über die Auswahl der Projekte entscheidet der zehnköpfige Stiftungsrat. Er
besteht zur Hälfte aus Parlamentariern, die vom NRW-Landtag entsandt werden. Jeweils zwei Mitglieder stellen
die Spitzenverbände in der Arbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW sowie die zuständigen
Landesministerien.